Vom Wandel der Zeit

Etwa ab der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert begann der Weinbau an der Haardt die Berghänge zu erobern. Dies war zum einen der Tatsache geschuldet, daß man mit Wein gutes Geld verdienen konnte und man natürlich bestrebt war, die Anbauflächen auszudehnen. Zum anderen war es so, daß die Weinberge in den Flachlagen oft erfroren. Auch benötigte man in den Flachlagen Äcker, auf denen Frucht (in der Pfalz vorzugsweise Korn (Roggen) oder Spelz (Dinkel)), aber auch Hackfrüchte wie Kartoffeln und Rüben usw.angebaut wurden, da die Weingüter und Kleinwinzer (das waren die meisten) Gemischtbetriebe mit Viehhaltung waren.

Die durch Napoleon und den Code Civil eingeführte Realteilung ab 1804 tat ihr Übriges hinzu: die vorhandenen Flächen wurden durch Vererbung immer kleiner, da das Erbe zu gleichen Teilen aufgeteilt wurde. Man war also gezwungen, die Anbauflächen auszudehnen.

 

So begann man nach und nach die Waldungen am Haardtrand zu roden.

Das Anlegen der Querterrassen muß für die damalige Zeit eine furchtbare Schinderei gewesen sein, mußte doch alles in reiner Handarbeit verrichtet werden. Bis Baumstümpfe, Wurzelwerk und Gesteinsbrocken entfernt waren und die Bruchsteinmaurer die ersten Trockenmauern setzen konnten, verging viel Zeit.

Parzelle für Parzelle wurde so kultiviert. Und dies war nicht nur in Edenkoben so, sondern zog sich an der ganzen Haardt entlang.

Es dauerte etwa Hundert Jahre, bis die Terrassen und Hanglagen zur größten Ausdehnung gelangten.

Man hatte die aus dem Haardtgebrige ziehenden Täler  tief eingeschnitten und besonders an Südhängen versucht, Gelände für den Weinbau nutzbar zu machen. 

Dies hatte nicht nur mit den oben erwähnten Umständen zu tun, sondern es lag mitunter in dem Zusammenhang mit den aus Amerika eingeschleppten neuen "Seuchen": dem Oidium und der Peronospora, aber auch die Reblaus trug ihren Teil zu dieser Entwicklung bei . Die in Europa seit Jahrhunderten bekannten Schädlinge wie der Traubenwickler und der zur damaligen Zeit massiv auftretende Rebstichler leisteten ihr Übriges.

 

Als um 1865 das erste Mal der Echte Mehltau (Oidium) in der Pfalz auftrat, fand man rechts schnell Abhilfe in der Behandlung der Weinberge mit Schwefel. Auch gegen die Peronospora (Falscher Mehltau, auch "Blattfallkrankheit" genannt), der man erst hilflos gegenüber stand und die zum Teil zu Totalausfällen bei der Ernte sorgte, fand man in der Bordelaiser Brühe ein wirksames Hilfsmittel. Übrigens, wie bei so vielem war auch der Einsatz dieser Kupfer-Kalkbrühe eine zufällige "Erfindung": In Frankreich hatte man Weinberge, die direkt an der Straße lagen mit blauem Kupfervitriol eingepinselt, um Traubendiebe abzuschrecken. Man beobachtete, daß die so behandelten Trauben nicht von der Peronospora befallen wurden, während in anderen Weinbergen alles dahinsiechte....

 

Schließlich, als die Reblaus in Deutschland ganze Landstriche mit Weinbergen zerstörte, fanden findige Forscher heraus, daß die europäische Rebe nur dann eine Überlebenschance hatte, wenn man sie auf die Unterlage einer "Amerikanerrebe" pfropfte. Die erste biotechnische Bekämpfung eines Rebschädlings war mit der Pfropfrebe geboren.

Doch nicht nur neue "Feinde" machten den Winzern im 19. Jahrhundert das Leben schwer, sondern auch alteingesessene Schädlinge wie der Traubenwickler, der für die Generationen des Heu- und Sauerwurmes verantwortlich ist und zuletzt auch der Rebstichler sorgten mitunter zu Totalausfällen bei der Ernte.

Mit Leimfächern bewaffnet zogen im Frühjahr und Sommer die Schulkinder in die Wingerte um die Schädlinge einzufangen. Man rieb die Stöcke mit "Abreibseseln" ab um den Puppen des Traubenwicklers habhaft zu werden, sammelte die Rebstichler und die von ihm aus den Rebenblättern zur Eiablage gedrehten "Zigarren" ab und verbrannte sie, was alles keinen durchschlagenden Erfolg zeigte.

Letzten Endes ist die weite Ausdehnung der Weinberganlagen bis tief in die Täler der Haardt auch diesen schlimmen "Wurmjahren" am Ende des 19. jahrhunderts geschuldet. Man hatte versucht mit Ausbreitung der Anbaufläche die Verluste bei der Ernte auszugleichen.

Ab etwa 1905 fand man im Nikotin endlich einen einigermaßen zuverlässigen Helfer im Kampf gegen den Traubenwickler. Ab 1907 werden im deutschen Weinbau zunehmend Arsenpräparate gegen den Heu- und Sauerwurm eingesetzt, mit durchschlagendem Erfolg.

Es ist nicht nur die Zeit der Zunahme der Ernteerträge, sondern auch die Zeit der Zunahme der Hautkrebserkrankngen unter Winzern. 1942 wird daher Arsen als Spritzmittel zurecht verboten.

Der Anstieg der Ernteerträgnisse förderte aber auf der anderen Seite wiederum einen Rückgang der oben beschriebenen Terrassen, die tief in den Tälern lagen. Sie waren einfach unrentabel, waren schwierig zu unterhalten und lieferten fast keine Erträge. Der Wald holte sich nach und nach die unwirtschaftlichsten Wingertsanlagen und damit den mühsam abgerungenen Boden wieder zurück.

Dennoch waren viele der Terrassen, besonders die gegen die Rheinebene zu, nach wie vor begehrte Anbauflächen. Sie waren mehr von der Sonne beschienen, die Reben erfroren in kalten Wintern nicht so schnell und die Lagen ergaben gute und zum Teil auch sehr gute Weine. Gerade die "Bergtraminer" in der Umgegend von Sankt Martin, Maikammer und Edenkoben waren begehrtes Handelsobjekt und schon im frühen 19. Jahrhundert Exportschlager in die neue Welt (Amerika).

Zudem gab es viele arbeitswillige und auch billige Arbeitskräfte. Kaum ein Bewohner der Haardt war nicht irgendwie im Weinbau mit beschäftigt: sei es bei der Weinlese, dem Kammerten, dem Hacken der Wingerte oder den vielen anderen Arbeiten. Viele verdienten sich hier ein Zubrot.

Nur durch die vielen Tagelöhner, die für wenig Geld und einen Krug Mops (das war der Haustrunk) in den Wingert zogen um dort die schwere Arbeit zu erledigen, war ein rentabler Anbau überhaupt möglich.

Maschinen im Weinbau kannte man keine. In der Ebene kam mit der Umstellung des geschlossenen Kammertbaus mit Holz zur offenen Drahtanlagen höchstens noch das eine oder andere Pferd oder eine Kuh oder der Ochse mit dem Pflug in den Wingert. Ansonsten war alles reine Handarbeit.

Begrünte Wingerte wie heute kannte man nicht. Der Boden wurde mit allen Mitteln offen gehalten. Vom Frühjahr bis kurz vor dem Herbst herrschten Karst, Krappen und Hacke im Wingert. Vor dem Winter wurden die Reben mit Erde "beigeschlagen" und mit Spaten und Schaufel Mistgräben zum Düngen gezogen.

Gras hatte höchstens in der "Furche", der Fläche zwischen zwei Wingerten Platz und diente da als Viehfutter, das mit der Sichel abgegrast wurde und von den Frauen auf dem Kopf im Grastuch nach Hause geschleppt werden mußte.

Man kann sagen, daß die Arbeitsabläufe im Wingert fast bis in die Fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die gleichen blieben. Nach dem Krieg kamen die ersten Einachser wie Agria, Irus oder Holder auf. Es begann schleichend auch eine Mechanisierung im Weinbau, die nach und nach die fehlenden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft zu ersetzen wußte. Spätestens in den Sechziger Jahren verschwindet das Vieh aus den Stallungen. Die Gemischtbetriebe mausern sich zu reinen Weinbaubetrieben, ehemalige Wiesen und Ackerflächen werden umgebrochen und zu Weinland.

Neue Technik, wirksamere und auch hochgiftige Spritzmittel erobern gerade in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg die Wingerte. Die Zeilen werden breiter, die Erträge werden immer höher, mit Wein ist viel Geld zu verdienen und manche Winzer erwirtschaften auf ihren Flächen Massenerträge.In den Fünfziger Jahren kostet eine Flasche Wein etwa

1,50 DM - der Stundenlohn eines Maurergesellen liegt zu dieser Zeit bei 1,25 DM.....

Die Weine an der Oberhaardt sind meist mittlere Schoppenweine, der Absatz floriert, meist mit Masse statt Klasse, wobei es immer auch Winzer gibt, die Qualitätsbewußtsein zeigen. In den frühen 80er Jahren werden im Durchschnitt 17.000 Liter Wein pro Hektar Rebfläche geerntet, an der Oberhaardt mit ihren schweren, fruchtbaren Lehmböden sind auch schon mal je nach Lage und Jahr 20.000 Liter pro Hektar keine Seltenheit. (zum Vergleich heute: im Durchschnitt etwa 9.000Liter)

In diese Zeit des Arbeitskräftemangels und der beginnenden Mechanisierung nach dem Krieg fällt auch das Sterben der Terrassenweinberge in der Pfalz.

Sie sind unzugänglich, schwer zu bewirtschaften, bringen kleine Erträge, sind nicht maschinentauglich und so für den Winzer unrentabel geworden.

Nach und nach verschwinden sie aus dem Bild der Landschaft an der Haardt, die sie fast 200 Jahre geprägt haben. Hier und da finden sich Winzer, die ihre Terrassen weiter bewirtschaften. Oft sind es Nebenerwerbswinzer, die nach Feierabend ihre Weinberge weiter pflegen und denen die Arbeit dort nicht zuviel wird. Sie müssen keine Hilfskräfte bezahlen, denn sie verrichten ihre Arbeit alleine oder zusammen mit Familienmitgliedern.

Nur durch das jahrzehntelange Engagement dieser Menschen ist es zu danken, daß die verbleibenden Flächen am Kieferberg nicht vom Wald überwuchert wurden.